Die Digitalmarketingbranche erwartet sich von virtuellen Online-Welten einen gewaltigen Umsatzschub. Ob B2B-Unternehmen oder Consumer Brands aber tatsächlich auf sogenannten Metaverse-Plattformen aktiv werden, hängt auch von den Monitoring- und Analysemöglichkeiten ab.
Wie wir Metaverse definieren? Der Einfachheit halber mal so: Ein Metaverse ist eine virtuelle, räumliche Online-Welt, in der jeder Einzelne von uns per digitalem Zwilling oder Avatar live mit anderen Avataren interagieren kann. Zum Beispiel ähnlich einigen bekannten 3D-Online-Spielen, in denen bereits Konzertübertragungen oder Filmpremieren vermarktet werden.
Lassen Sie uns das Thema Metaverse aus einer professionellen Perspektive, aus der eines Marketingleiters oder Digitalmarketingverantwortlichen, betrachten und die wichtigsten Fragen dazu beantworten:
Metaverse oder Cyberspace?
Viele Branchenbegriffe der Digitalbranche stammen aus der Science-Fiction Literatur des vergangenen Jahrhunderts. So auch Cyberspace oder Metaverse. Cyberspace hat sich seit vielen Jahren als Begriff für das uns bekannte Internet etabliert, das wir üblicherweise über einen Web- oder Mobilbrowser oder eine App betreten.
Eine mögliche Weiterentwicklung des Cyberspace ist ein Metaverse. Der Unterschied ist: Metaverse-Besucher bewegen sich räumlich, ihre Avatare sind in Echtzeit mittendrin „im Geschehen“, statt nur durch ein Browser-Fenster „hinein“ zu schauen. Beispiel: Wenn wir im Metaverse einen Online-Shop betreten, stehen wir virtuell im Laden und können uns in alle Richtungen bewegen. Ähnlich könnte man sich auch den Besuch einer virtuellen Messe oder einer Pressekonferenz vorstellen: Unsere Avatare sind im virtuellen Raum vor Ort, kommen mit anderen Avataren ins Gespräch, konsumieren ein Konzert oder eine Podiumsdiskussion oder nehmen an einem virtuellen Brainstorming teil.
Warum nicht Metaversen?
Tatsächlich gibt es aktuell bereits über ein Dutzend Metaverse-Plattformen und nach Schätzungen der Digitalbranche sind mehrere tausend weitere in der Entwicklung. Von einer Metaverse-Plattform virtuell in eine andere zu wechseln, ist noch nicht möglich – so wie man auch keinen Youtube-Film auf Netflix schauen kann.
Ob es einmal nahtlose Übergänge zwischen unterschiedlichen Metaverse-Plattformen geben wird? Mit einer einzigen Online-Identität? Wir wissen es nicht. Zwar wäre es reizvoll, mit einer virtuellen Identität mehrere virtuellen Welten betreten zu können – so wie wir realen Leben die meisten realen Welten betreten. Aktuell gibt es dabei aber noch zu viele ungeklärte Fragen – angefangen bei der fehlenden Kompatibilität der Plattformen über die sehr verschiedenen wirtschaftlichen Interessen bis hin zum Datenschutz.
Der Schlüssel zu einem übergreifenden, plattformunabhängigen Metaverse ist also eine möglichst umfassende Standardisierung auf allen relevanten Ebenen. Bis dahin macht es nur Sinn, sich auf einzelne Metaverse-Plattformen zu konzentrieren. Hier die aktuell beliebtesten:
Wie komme ich ins Metaverse?
Zwar können Metaverse-Besucher die meisten virtuellen Welten auch über Smartphone- oder Desktop-Apps betreten, allerdings geht dabei der 3D-Effekt etwas verloren, außerdem die Vorteile, die AR oder VR bieten, z.B. die Simulationsmöglichkeiten von realen Situationen oder das Anreichern von virtuellen Settings um reale Informationen in einer sogenannten Mixed Reality.
Erst VR-Headsets bieten das angestrebte Nutzererlebnis, sowohl im privaten Bereich bei z.B. Gaming-Anwendungen oder im Business-Kontext bei Themen wie Fernwartung oder virtuelle Schulungen.
Was kostet das Metaverse?
Egal, mit welcher Hardware die Anwender nun eine Metaverse-Umgebung betreten: Voraussetzung ist eine leistungsfähige Hardware mit genügend Computing Power, eine auch großen Nutzerzahlen gewachsene Cloud-Infrastruktur und skalierbare Visualisierungssoftware.
Der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg schätzt die Kosten für die Metaverse-Infrastruktur auf mehrere hundert Milliarden Dollar. Diesen Kosten stellt Bloomberg Umsatzpotenziale in ähnlicher Größenordnung gegenüber: Mit Online Games, Live Entertainment und Advertising sollen bereits in den kommenden zwei Jahren 500 bis 800 Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Marken und Unternehmen, die auf einer Metaverse-Plattform aktiv werden wollen, müssen sich jedoch bewusst machen: Jede Art von digitalem Content müsste, um den Möglichkeiten des Mediums gerecht zu werden, in 3D produziert bzw. sogar animiert werden. Das ist ein nicht zu unterschätzender Kosten- und Ressourcenfaktor.
Ich bin drin. Und nun? Was Nutzer im Metaverse so machen.
Richtig, das Metaverse soll nicht nur zum Spielen gut sein. Zumindest theoretisch sinnvoll erscheinen auch folgende Anwendungen:
- zusammenarbeiten: Die Kollaboration in Feldern wie Konstruktion oder Produktentwicklung wird in 3D effizienter und unmissverständlicher.
- Medien konsumieren: Virtuelle Konzert- oder Kinobesuche werden eindrucksvoller.
- virtueller Tourismus: Dank 3D-Visualisierungen von Sehenswürdigkeiten können wir die ganze Welt virtuell bereisen.
- Treff mit Freunden: In einer virtuellen Umgebung spazieren zu gehen und sich auszutauschen, ist noch mal spannender als über Zoom.
- Telemedizin: Patienten besprechen mit ihrem Arzt eine komplexe Operation oder Behandlungsstrategie räumlich getrennt, dafür aber visuell unterstützt.
- Lehre & Trainings: Unterschiedlichste Medien oder Demos lassen sich in einer Mixed Reality einbinden.
- Home Shopping: Online-Shops werden in 3D lebendig, Visualisierungen von Produkten oder Dienstleistungen wirken stärker als Beschreibungen
Einige spannende Entwicklerumgebungen für Metaverse-Anwendungen sind derzeit:
Was treiben Marken & Unternehmen bereits auf unterschiedlichen Metaverse-Plattformen? Einige konkrete Branchenbeispiele.
Entertainment: Virtuelle Räume ermöglichen neue Storytelling-Formate. Aber auch traditionelle Unterhaltungsformate können integriert werden. Der Fortnite-Entwickler Epic Games hat auf der Plattform bereits mehrere Konzerte mit Millionenpublikum veranstaltet, den Rapper Travis Scott erlebten beispielsweise mehr als 12 Millionen Menschen „virtuell live“.
Einzelhandel & Produktpräsentationen: Online-Shops in Computerspiel-Optik sollen das ultimative immersive Kauferlebnis bieten, den Kunden also stärker „reinziehen“. Verknüpft werden die Kundenbesuche mit Incentives wie virtuellen Goodies oder befristeten Kampagnen, wie zum Beispiel bei Kaufland und Starbucks. Die Metaverse Fashion Week im März 2022 soll über 100.000 virtuelle Besucher, also Avatare, angezogen haben.
Energiebranche: Siemens hat seine digitale Plattform Xcelerator mit der 3D-Entwicklerplattform des Grafikchip-Herstellers Nvidia verknüpft. Damit kann beispielsweise auch die Projektion von Offshore-Windparks realitätsnah simuliert werden. Anhand von „digitalen Zwillingen“ können echte Fabriken und Anlagen entworfen, betrieben und gewartet werden.
Gesundheitswesen: Die Krankenkasse BKK Pfalz vermittelt über ihre Smartphone-BKK Pfalz VR-Welt Tipps zu Entspannung, Gesundheit und ergonomischem Arbeiten – sowohl für die private Anwendung als auch die betriebliche Gesundheitsförderung.
Fertigungsindustrie: Design- und Planungsprozesse laufen im Metaverse AR- bzw. VR-unterstützt, Beteiligte können besser einbezogen werden. BMW nutzt die Omniverse-Plattform von Nvidia für die Fabrikplanung.
Öffentliche Hand: Digitale Bürger-Dienstleistungen werden von ersten Kommunen im Metaverse angeboten. Als Vorreiter gilt beispielsweise Seoul, wo im Mai 2022 ein Pilotprojekt zu einer Art virtuellem Rathaus gestartet wurde.
Metaverse Monitoring & Analytics: Gibt es zuverlässige KPIs aus den virtuellen Online-Welten?
„Miss es oder vergiss es“ gilt für Marketingleiter oder Digitalmarketingverantwortliche natürlich auch im Metaverse. Einzelne Plattformbetreiber bieten dafür Analyse-Möglichkeiten, was zum Beispiel Nutzerzahlen, Verweildauer oder generierte (Crypto)-Umsätze angeht.
Ein aussagekräftiges Kommunikations-Controlling im virtuellen, dreidimensionalen Raum müsste aber auch KPIs zu Position im Raum, Augenfokus, Kopf- oder Handbewegungen bis hin zu biologischen Metriken wie „emotionaler Stress“ oder Herzschlag erfassen – und das alles in einem zu definierenden Kontext. Es gibt VR-Headsets, die solche Daten erfassen können, deren Nutzung stößt aber noch an aktuell geltende Datenschutzgrundsätze.
Das Auslesen von Daten aus Metaverse-Plattformen über APIs ist deshalb aktuell eine noch etwas nebulöse Herausforderung – im Vergleich zur Analyse von Websites, Apps oder Social Media-Plattformen. Die Effizienz von Marketing im Metaverse wird also vorerst noch nicht an harten KPIs gemessen, sondern vor allem am News-Wert einzelner Pilotprojekte.
Stefan Richter
Head of Marketing Communications
Stefan Richter ist Diplom-Journalist und hat mehrere Jahre als Redakteur und Auslandskorrespondent für Presse, Hörfunk und TV gearbeitet. Nach seinem Wechsel ins PR-Fach war er als Pressesprecher und Berater auf Unternehmens- und Agenturseite tätig. Bei Radiosphere verantwortet er die Marketingkommunikation.
Marek Hoyler
Media Monitoring Analyst
Marek Hoyler wird zum Analysten für alle Arten von Media Monitoring & Analytics ausgebildet. Er setzt Monitoring-Projekte aus verschiedenen Branchen und konfiguriert darauf maßgeschneiderte Monitoring-Dashboards.
Fotos und Grafiken: Radiosphere, Barbara Zandoval/Unsplash