Unternehmen brauchen ein zentral gesteuertes Frühwarnsystem, meint Ulrich Heun, Gründer und Geschäftsführer des Corporate Resilience-Spezialisten carmao. Er erklärt, warum Kommunikationsmonitoring dafür essenziell wichtig ist.
Hr. Heun, Ihr Thema ist Unternehmensresilienz oder mal übersetzt, die möglichst hohe Widerstandsfähigkeit einer Organisation gegenüber Risiken von außen und innen. Das ist noch weit mehr als Krisenmanagement. Oder?
Genau. Wer gar nicht erst in eine Krisensituation geraten will, sollte alle möglichen Gefahren vorausschauend auf dem Schirm haben – auch solche, die nicht unmittelbar zu Betriebsunterbrechungen führen. Jeder wird mir zustimmen, das gut vorbereitete Organisationen besser durch Krisensituationen kommen als jene, die erst reagieren, wenn der Stress längst schon da ist.
Traditionell ging es im Krisenmanagement ja oft darum, bestimmte Situationen zu vermeiden bzw. den Urzustand wiederherzustellen. Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass das gar nicht möglich ist. Die Frage ist also: Was tun wir alternativ? Oder: Wie müssen wir uns verändern? Unternehmensresilienz in unserem Verständnis beinhaltet also sowohl ein intaktes Immunsystem als auch eine hohe Veränderungsfähigkeit. Dazu müssen viele bisher separat betrachtete Disziplinen zusammenarbeiten, der Fokus liegt auf Prävention. Zu letzterem gehört beispielsweise die Ausprägung einer Risikokultur, bei der alle Mitarbeiter mit einbezogen werden.
Wo stehen die deutschen Unternehmen in Sachen Resilienz, mal ausgedrückt auf einer Skala von 1 bis zur Bestnote 5?
Irgendwo zwischen 1 und 3. Defizite gibt es vor allem bei kleineren Unternehmen und im Mittelstand. Viele setzen hier sehr stark auf Ihre Führungsstärke. Aber auch in großen Konzernen tauschen sich Abteilungen oft nur unzureichend über ihre spezialisierten Risikoanalysen und Vorsorgemaßnahmen aus.
Wir empfehlen deshalb ein unternehmensweit integriertes Risikomanagement mit dem Ziel, risikomindernde Maßnahmen auf Vorstands- oder Geschäftsführerebene zu bündeln und zentral umzusetzen. Zwischen Abteilungen kommt es sehr oft zu Unstimmigkeiten bei der Budgetverteilung und den Zuständigkeiten für Risikovorsorge. So wird nicht immer sofort ersichtlich, was einzelne Maßnahmen bringen und ob der Aufwand auch den Nutzen rechtfertigt.
Aber nehmen wir mal die aktuelle Situation mit COVID-19: Die Wirtschaft läuft gerade wieder auf Hochtouren – für viele unerwartet. Die Kehrseite der Medaille sind aber hohe Rohstoff- und Einkaufspreise oder nicht überall rund laufende Lieferketten. Hinzu kommen langfristigere Themen wie Digitalisierung, demographischer Wandel und sich rasant ändernde Anforderungen an Mitarbeiterqualifikationen, gerade auch in Sachen IT. Die Genesung eines Unternehmens bedeutet daher nicht einfach eine Rückkehr zu alten Strukturen und Mustern. Vielmehr müssen die Unternehmen zur Überwindung der Pandemie-Krise neue Modelle entwickeln und das auch noch möglichst schnell.
Wie sollten Unternehmen nun anfangen, ihre Resilienz zu stärken?
Risiken zu managen, sollte ein kontinuierlicher und strukturierter Prozess sein. Immerhin gibt es dazu sogar eine internationale Norm, die ISO 31000. Im Unternehmen sollte es einen zentralen Verantwortlichen für das Thema geben. Idealerweise ist das ein Mitarbeiter, der methodisch fit ist und die beiden Seiten des Risikomanagements, mathematische Modelle und kreative Szenarien für Reaktionen, unternehmensweit zusammenführen kann.
Bei der Einführung eines organisationsweit integrierten Risikomanagements können Unternehmen auch phasenweise vorgehen. Allerdings sollte der Fokus immer auf den Risiken für die wesentlichen Geschäftsprozesse liegen und nicht in erster Linie auf der Infrastruktur.
Dieser zentrale Risikomanager: Welche Tools sollte der haben, um seine Aufgabe erfüllen zu können?
Ein umfassendes Kommunikationsmonitoring ist eine sehr wichtige Basis, um potenzielle Angriffspunkte und Bedrohungen zu identifizieren: Medien und Social Media bieten heute ein dichtgewebtes Netz an Informationen, die man aber erst einmal aufnehmen und richtig lesen können muss. Alle heute on- und offline verfügbaren Informationen sind in unterschiedlichen Kontexten interpretierbar und dadurch potenziell relevant.
Hier kommt ja auch unser Partner Radiosphere mit seiner Medienmonitoring-Plattform RS-Lynx ins Spiel: Alert-Funktionen in Echtzeit informieren mich sofort entweder zu voreingestellten Suchbegriffen oder zu noch unbekannten neuen Themen, die ich überhaupt nicht auf dem Schirm habe. Und das alles vollautomatisiert und über ein zentrales Dashboard, das für unterschiedliche Abteilungen konfigurierbar ist.
Mal ein paar Beispiele: Aus Stellenanzeigen der Wettbewerber oder LinkedIn-Profilen von deren Mitarbeitern kann ich eventuell herauslesen, woran die gerade arbeiten. Man kann aus öffentlichen Chats und Diskussionen auch ganz neue Trends erkennen und auf Risiken aufmerksam werden, die in anderen Branchen oder Regionen bereits real sind und verzögert vielleicht auch bald bei mir ankommen.
Fachzeitschriften und Online-Fachportale geben mir Informationen über sich entwickelnde Branchentrends. Oder nehmen wir das Thema Data Breaches: Fast alle Unternehmen kommunizieren heute mit Kunden oder Dienstleistern auch über externe Online-Plattformen. Da möchte ich in Echtzeit über Hacks oder Compliance-Verstöße informiert sein, ebenso falls meine Unternehmensdaten im Darknet im Darknet zum Verkauf stehen – und zwar bevor ein Schaden entsteht.
Die fünf größten Risiken für den deutschen Mittelstand 2021 – nach Einschätzung des Corporate Resilience-Spezialisten carmao:
- Betriebsunterbrechungen – technische Schäden bis hin zur Sabotage können die Ursachen sein, aber auch Material- oder sonstige Lieferengpässe. Achtung: Das Kerngeschäft muss kontinuierlich sichergestellt sein.
- Pandemie-Einschränkungen – Quarantäne, Erkrankungen oder zusätzliche Stressfaktoren für die Mitarbeiter sollten in die Resilienzplanung mit einfließen. Virtuelle Prozesse brauchen andere Ressourcen und Know-how als etwa Kundenmeetings in Person.
- Cyber- und IT-Risiken – zunehmende Cyber-Kriminalität, steigende Komplexität der Systeme bis hin zu deren Überlastung und schließlich Materialermüdung sollten Unternehmen auf dem Schirm haben.
- Marktveränderungen – der anhaltende Trend zu E-Commerce oder der technologische Wandel in vielen Branchen sind nicht über Nacht entstanden. Um die richtigen unternehmerischen Entscheidungen zu treffen, braucht es Frühwarnsysteme wie z.B. ein Kommunikationsmonitoring.
- Veränderungen der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen – Strafzölle, Embargos, Wahlausgänge oder neue Gesetze führen in der Wahrnehmung vieler Unternehmer zu immer instabileren Rahmenbedingungen.
Ulrich Heun
Gründer und Geschäftsführer des Corporate Resilience-Spezialisten carmao aus Limburg an der Lahn.
Fotos: carmao GmbH, Unsplash/Brett Jordan